Die Schafherde, die ich auf der Heimfahrt am Weg zum Keltentor sah, zog mich an. Das gäbe doch ein Foto für die Startseite. Beim Aussteigen empfing mich lautes Gebell. Da waren offenbar zwei Hunde im Schäferkarren eingesperrt. Etwas weiter weg stieg eine junge Frau aus dem Auto. Wollte sie auch fotografieren? Nachdem ich gewendet hatte, hielt ich noch einmal an und fragte, ob sie die Schäferin sei. Nach kurzer Vorstellung durfte ich sie für den Bilderbogen interviewen.
Hannah Roy arbeitet im ersten Ausbildungsjahr als Schäferin. Zuvor hat sie in Gießen Agrarwissenschaften studiert und ihre Bachelor-Arbeit über Wolf-Vergrämungsmittel (Lupusrepel)*1) geschrieben. Das vierjährige Projekt der Justus-Liebig-Universität lief im September 2024 aus. Die Alternative zur Schäferei wäre eine Arbeit in der Verwaltung gewesen. Hannah hatte über ihre Versuche den Schäfer Herrn Benner kennengelernt. Er ermöglicht ihr die Ausbildung. Für Hannah war die Entscheidung klar: Frische Luft ist die bessere Berufswahl. Deshalb zog sie zu Beginn ihrer Ausbildung von der Reehmühle nach Offenbach-Mittenahr.
Die Herde, die ich vor mir sah, umfasst nahezu 700 Tiere, Lämmer vom Vorjahr inbegriffen. Es sind im wesentlichen Fleischrassen, Rhönböcke, Einkreuzungen mit Coburger Fuchs und einigen Merinos. Sie haben sehr hübsche Köpfe. Gerade als ich sie wunderschön vor der Linse hatte, jagte Piet dazwischen – und alle kehrten uns das Hinterteil zu.
Aber da laut Herrn Benner auch Schafe „das Recht am eigenen Bild “ haben, haben sie mir viel Arbeit abgenommen, so dass ich ihre Gesichter nicht unkenntlich machen muss.
Piet ist ein anderhalbjähriger altdeutscher Hütehund, genauer ein Harzer Fuchs und wie Hannah noch in der Ausbildung. Die beiden Hunde, die mich empfingen, sind Schutzhunde aus dem Kaukasus = Kaukasische Owtscharka*2). Sie dürfen frei laufen, sobald Schäferin und Schäfer das Gelände verlassen haben.
Die Herde kommt von Altenkirchen-Hohenahr. Seit Mitte Dezember ist sie wandernd unterwegs, über Hohensolms, bis zu zwei Stunden pro Tag. Seit Januar bewegen sich die Tiere auf Biebertaler Gebiet: Moritzburg- Königsberg – Bubenrod. Die Beweidung erfolgt in Absprache mit den Besitzern. Wo ein Stock mit Tuch steckt, darf nicht geweidet werden. Das grasige Gelände auf dem Foto gehört Familie March. Doch sogar auf Wintersaaten dürfen die Tiere fressen – und werden sogar gerne gesehen. Sie befestigen nämlich durch den „Goldenen Tritt“ den Boden, da haben Maulwürfe kaum Chancen. Und ausgewinterte Pflanzen*3) werden wieder angedrückt. Durch den leichten Verbiss werden die Pflanzenwurzeln dichter und sie bestocken besser, d.h. sie bilden mehr Ähren, z.B. der Weizen. Für Landwirtschaft und Schäferei eine Win-Win-Situation.
Die hier beobachteten Tiere bilden nicht die einzige Herde. Die andere, weit kleinere, arbeitet als Landschaftspfleger in der Wacholderheide bei Ahrdt. Darunter sind auch Heidschnucken und Ziegen.
Der Herde und ihren Hütern wünsche ich „Allzeit gut Weid‘!
Fotos Eveline Renell und Winfried Senger
*1)Uni Giessen Ökolandbau/Forschung/Lupusrepel
*3)Sämlinge, die durch Frost nach oben gedrückt werden und deren Wurzeln den Bodenkontakt verlieren
Und wer noch mehr wissen möchte: ndr-Nachrichten-Eine der letzten Wanderschäferinnen